Sonntag, 29. April 2012

Besuch in einem Land, das es nicht gibt


Das Leben als Ausländer in der Ukraine (wie in jedem postsowjetischen Land) ist nicht das einfachste. Denn als Ausländer muss man sich nach dreimonatigem Aufenthalt registrieren lassen, sodass die Regierung weiß, wo man ist und warum. Nun ist aber damit auch der Amtsgang untrennbar verbunden, der in Deutschland schon durchaus nicht viel spaßiger als eine unanästhesierte Wurzelbehandlung, in der Ukraine aber faktisch ein Himmelfahrtskommando ist. Die Registrierungsgesetze ändern sich nämlich durchschnittlich alle drei Wochen und niemand weiß wirklich genau, wie das mit der Registrierung wirklich funktioniert. Ich bin sehr dankbar dass die deutsche Sprache hier das Adjektiv „kafkaesk“ kennt.
Nun aber in in medias res!

Ich dachte eigentlich, dass ich bis zu meiner Rückkehr nach Deutschland ohne Registrierung würde leben müssen und hatte mich mit dieser Situation schon arrangiert. Ich wechselte diskret beim Auftauchen von Polizisten und Milizionären die Straßenseite und habe mich so auch gut gehalten.

Vom 4. bis zum 6.April fand unser zweites Zwischenseminar in Odessa statt, einer wirklich wunderschönen Stadt am Schwarzen Meer, in der südwestlichen Ecke der Ukraine. Odessa wurde von Katharina der Großen als Planstadt und Puffer zwischen Russland und den Osmanen gegründet. Über 120 Nationalitäten siedelten und siedeln hier, Georgier, Griechen, Deutsche, Franzosen, Juden, Russen, Armenier. Wer zählt die Völker, nennt die Namen, die gastlich hier zusammenkamen?

Nun, wir, die Freiwilligen aus der Ukraine und Belarus kamen hier zusammen um gemeinsam zu seminarieren. Aber schon am ersten Abend schien das Seminar für mich zu Ende zu sein. Ein Beamter des Immigrationsbüros hatte offenbar beschlossen zu arbeiten, was niemand hätte voraussehen können. Nun benötigte man für meine Registrierung dringend meine Anwesenheit in Charkiw sowie einen Ausreisestempel. Mein Projektkoordinator entwarf den Plan einer sofortigen Rückreise sowie einer Grenzüberschreitung in die Russische Föderation, die von Charkiw in angenehmer Nähe liegt. Unangenehm ist allerdings die Visumspflicht, ein Beantragen innerhalb der Ukraine ist jenseits von unrealistisch.

Nun ist Odessa ja im äußersten Südwesten nächst Moldawien zu verorten und der Moldawier in seiner Kulanz hat seine Grenze visumsunbewehrt gelassen. Salomonisch einigten wir uns darauf, dass ich bis zum Ende am Seminar teilnähme und dann nach einem Kurzabstecher über die Grenze wieder zurück nach Charkiw führe, um mich dort endlich registrieren zu lassen.

Nach einem äußerst produktiven, bereichernden Seminar mit Erfahrungsaustausch stand ich auf dem Busbahnhof in Odessa und wollte zwecks Grenzüberschreitung einen Autobus besteigen. Man konnte mir allerdings nicht weiterhelfen, denn eine Grenze nach Moldawien und ein diese zu überquerender Bus existiere nicht, wie mir die Schalterdame in der den ukrainischen Schalterdamen eigenen taktvollen Grazie durch die Gegensprechanlage entgegenbrüllte.

Ein vertrauenswürdiger Schlepper sah meine Verzweiflung und bot mir eine Fahrt zur Grenze und dortige Unterstützung zwecks Verhandlungen mit Grenzbeamten für den günstigen Sonderpreis von 30 $ an. Ich handelte ihn auf 10 herunter und wurde zu einem Van geleitet, der seine besten Tage offenbar unter Breschnew erlebt hatte. Ein weiterer Passagier war ein illegal eingereister Aserbaidschaner, der ebenfalls Refugium in Moldawien suchte. Wir reichten uns als Brüder in der Illegalität herzlich die Hände. Als mir unser Fahrer verständlich machte, dass ich im Kofferraum würde die Fahrt verbringen müssen, ergriff ich dann doch lieber die Flucht.
Ich frug nochmals an den Kassen, diesmal bei einer anderen Dame und man konnte mir diesmal mysteriöserweise helfen, kurz darauf saß ich im Bus nach Moldawien. Die Fahrt verbrachte ich mit dem Ausfüllen der Immigrationskarte (in doppelter Ausführung; Ordnung muss sein!).

Wir erreichten den Grenzposten und hielten an. Mehrere Grenzoffiziere betraten den Bus und sammelten die Pässe ein. Ukrainische Pässe sind blau. Solche der Bundesrepublik bordeaux. Geübten Griffs zog der Offizier das auffällige Dokument aus dem Stapel und wandte sich fragend an den Busfahrer, der auf mich deutete. Ich machte noch den Versuch unter die Bänke abzutauchen, wurde aber trotzdem erkannt und herauszitiert.
In einem kleinen Grenzpostenkabinett machten wir ein Verhör, das nicht das Letzte bleiben sollte. Zunächst einmal sollte ich eine Strafe zahlen, denn ich war länger als drei Monate im Land (eine Ausreise hatte mir das Immigrationsbüro vorher verboten und dann befohlen, um die Registrierung endlich zu legalisieren, aber das wusste der Grenzoffizier nicht, wie auch, sind ukrainische Gesetze eher metaphysische Richtlinien als Regeln, immer im Fluss und mysteriös für jeden.) und sollte nun Strafe dafür bezahlen. Ich richtete einen Heißen Draht mit meiner Länderkoordinatorin Anzhela ein und wir einigten uns auf eine später zu entrichtende Strafgebühr sowie ein weiteres Verhör.

In einem anderen Grenzbüro und mit anderem Grenzbeamten machte ich nun ein weiteres Verhör, in welchem man mir mitteilte, dass ich zwar aus- aber nicht mehr einreisen könne, sollte ich die Ukraine verlassen. Nach einer langen Diskussion (und einem weiteren Heißen Draht) konnte man mir weiterhelfen: Ich sollte jetzt zu Fuß die Grenzbrücke überschreiten, im Ausland eine Viertelstunde promenieren und darob zurückkehren. Ich hub also an und überquerte die Grenzbrücke, worauf mir Böses schwante: Nicht die Moldawische Flagge flatterte dort im Wind. Nicht die moldawischen Grenzbeamten standen dort schwer bewaffnet mit dem Air von Sowjetsoldaten. Eine Tafel klärte auf: „Willkommen in der Moldawischen Republik von Transnistrien“ - Ich war blauäugig in das schwarze Loch von Europa, in ein „Stabilisiertes De-Facto-Regime“ und eine stalinistische Diktatur spaziert, anerkannt von niemandem doch beschützt von dort seit der UdSSR stationierten Truppen zieht sich Transnistrien 200 Km lang und 5 Km breit durch Bessarabien, rechtliches Niemandsland zwischen Moldawien und der Ukraine, in welchem westliche Touristen gut und gerne 500 € loswerden können, sollten sie es durchqueren und an korrupte Polizisten/Soldaten/Milizionäre geraten (was -höflich ausgedrückt- nicht ganz unwahrscheinlich ist) die Formulare und Straßenbenutzungserlaubnis verlangen und wenn man solcherlei nicht besitzt, Strafe einfordern.

Ich geriet allerdings an einen netten Grenzbeamten, der sich (trotz bedrohlicher Sowjetuniform) als äußerst kulant und interessiert herausstellte, denn ich besaß keine Devisen. Nach einer halben Stunde jovialen Verhöres entließ man mich zur Rückreise. Nochmal über die Grenzbrücke, dann stand ich vor dem Einreiseposten. Der Beamte wollte mich nicht einlassen. Ich erklärte die Sachlage, er schüttelte den Kopf. Ich beschwor ihn seinen Vorgesetzten zu kontaktieren, er winkte ab. Da knackte sein Funkgerät und der eben benannte Vorgesetzte stellte einen Deutschen in Aussicht, der einzulassen sei. Der überzeugte Beamte gab mir den ersehnten Einreisestempel und winkte mich durch. Dann fuhr ich mit dem Bus zurück nach Odessa. Ich hatte 6 Stunden an der Grenze verbracht. Aber man wächst ja an seinen Erfahrungen.

1 Kommentar:

  1. Eine wirklich faszinierende und live sicherlich bedrohliche Situation :)

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