Das
Leben als Ausländer in der Ukraine (wie in jedem postsowjetischen
Land) ist nicht das einfachste. Denn als Ausländer muss man sich
nach dreimonatigem Aufenthalt registrieren lassen, sodass die
Regierung weiß, wo man ist und warum. Nun ist aber damit auch der
Amtsgang untrennbar verbunden, der in Deutschland schon durchaus
nicht viel spaßiger als eine unanästhesierte Wurzelbehandlung, in
der Ukraine aber faktisch ein Himmelfahrtskommando ist. Die
Registrierungsgesetze ändern sich nämlich durchschnittlich alle
drei Wochen und niemand weiß wirklich genau, wie das mit der
Registrierung wirklich funktioniert. Ich bin sehr dankbar dass die
deutsche Sprache hier das Adjektiv „kafkaesk“ kennt.
Nun
aber in in medias res!
Ich dachte eigentlich, dass ich bis zu meiner Rückkehr nach
Deutschland ohne Registrierung würde leben müssen und hatte mich
mit dieser Situation schon arrangiert. Ich wechselte diskret beim
Auftauchen von Polizisten und Milizionären die Straßenseite und
habe mich so auch gut gehalten.
Vom 4. bis zum 6.April fand unser zweites Zwischenseminar in Odessa
statt, einer wirklich wunderschönen Stadt am Schwarzen Meer, in der
südwestlichen Ecke der Ukraine. Odessa wurde von Katharina der
Großen als Planstadt und Puffer zwischen Russland und den Osmanen
gegründet. Über 120 Nationalitäten siedelten und siedeln hier,
Georgier, Griechen, Deutsche, Franzosen, Juden, Russen, Armenier. Wer
zählt die Völker, nennt die Namen, die gastlich hier zusammenkamen?
Nun, wir, die Freiwilligen aus der Ukraine und Belarus kamen hier
zusammen um gemeinsam zu seminarieren. Aber schon am ersten Abend
schien das Seminar für mich zu Ende zu sein. Ein Beamter des
Immigrationsbüros hatte offenbar beschlossen zu arbeiten, was
niemand hätte voraussehen können. Nun benötigte man für meine
Registrierung dringend meine Anwesenheit in Charkiw sowie einen
Ausreisestempel. Mein Projektkoordinator entwarf den Plan einer
sofortigen Rückreise sowie einer Grenzüberschreitung in die
Russische Föderation, die von Charkiw in angenehmer Nähe liegt.
Unangenehm ist allerdings die Visumspflicht, ein Beantragen innerhalb
der Ukraine ist jenseits von unrealistisch.
Nun ist Odessa ja im äußersten Südwesten nächst Moldawien zu
verorten und der Moldawier in seiner Kulanz hat seine Grenze
visumsunbewehrt gelassen. Salomonisch einigten wir uns darauf, dass
ich bis zum Ende am Seminar teilnähme und dann nach einem
Kurzabstecher über die Grenze wieder zurück nach Charkiw führe, um
mich dort endlich registrieren zu lassen.
Nach einem äußerst produktiven, bereichernden Seminar mit
Erfahrungsaustausch stand ich auf dem Busbahnhof in Odessa und wollte
zwecks Grenzüberschreitung einen Autobus besteigen. Man konnte mir
allerdings nicht weiterhelfen, denn eine Grenze nach Moldawien und
ein diese zu überquerender Bus existiere nicht, wie mir die
Schalterdame in der den ukrainischen Schalterdamen eigenen taktvollen
Grazie durch die Gegensprechanlage entgegenbrüllte.
Ein vertrauenswürdiger Schlepper sah meine Verzweiflung und bot mir
eine Fahrt zur Grenze und dortige Unterstützung zwecks Verhandlungen
mit Grenzbeamten für den günstigen Sonderpreis von 30 $ an. Ich
handelte ihn auf 10 herunter und wurde zu einem Van geleitet, der
seine besten Tage offenbar unter Breschnew erlebt hatte. Ein weiterer
Passagier war ein illegal eingereister Aserbaidschaner, der ebenfalls
Refugium in Moldawien suchte. Wir reichten uns als Brüder in der
Illegalität herzlich die Hände. Als mir unser Fahrer verständlich
machte, dass ich im Kofferraum würde die Fahrt verbringen müssen,
ergriff ich dann doch lieber die Flucht.
Ich frug nochmals an den Kassen, diesmal bei einer anderen Dame und
man konnte mir diesmal mysteriöserweise helfen, kurz darauf saß ich
im Bus nach Moldawien. Die Fahrt verbrachte ich mit dem Ausfüllen
der Immigrationskarte (in doppelter Ausführung; Ordnung muss sein!).
Wir erreichten den Grenzposten und hielten an. Mehrere Grenzoffiziere
betraten den Bus und sammelten die Pässe ein. Ukrainische Pässe
sind blau. Solche der Bundesrepublik bordeaux. Geübten Griffs zog
der Offizier das auffällige Dokument aus dem Stapel und wandte sich
fragend an den Busfahrer, der auf mich deutete. Ich machte noch den
Versuch unter die Bänke abzutauchen, wurde aber trotzdem erkannt und
herauszitiert.
In einem kleinen Grenzpostenkabinett machten wir ein Verhör, das
nicht das Letzte bleiben sollte. Zunächst einmal sollte ich eine
Strafe zahlen, denn ich war länger als drei Monate im Land (eine
Ausreise hatte mir das Immigrationsbüro vorher verboten und dann
befohlen, um die Registrierung endlich zu legalisieren, aber das
wusste der Grenzoffizier nicht, wie auch, sind ukrainische Gesetze
eher metaphysische Richtlinien als Regeln, immer im Fluss und
mysteriös für jeden.) und sollte nun Strafe dafür bezahlen. Ich
richtete einen Heißen Draht mit meiner Länderkoordinatorin Anzhela
ein und wir einigten uns auf eine später zu entrichtende Strafgebühr
sowie ein weiteres Verhör.
In einem anderen Grenzbüro und mit anderem Grenzbeamten machte ich
nun ein weiteres Verhör, in welchem man mir mitteilte, dass ich zwar
aus- aber nicht mehr einreisen könne, sollte ich die Ukraine
verlassen. Nach einer langen Diskussion (und einem weiteren Heißen
Draht) konnte man mir weiterhelfen: Ich sollte jetzt zu Fuß die
Grenzbrücke überschreiten, im Ausland eine Viertelstunde
promenieren und darob zurückkehren. Ich hub also an und überquerte
die Grenzbrücke, worauf mir Böses schwante: Nicht die Moldawische
Flagge flatterte dort im Wind. Nicht die moldawischen Grenzbeamten
standen dort schwer bewaffnet mit dem Air von Sowjetsoldaten. Eine
Tafel klärte auf: „Willkommen in der Moldawischen Republik von
Transnistrien“ - Ich war blauäugig in das schwarze Loch von
Europa, in ein „Stabilisiertes De-Facto-Regime“ und eine
stalinistische Diktatur spaziert, anerkannt von niemandem doch
beschützt von dort seit der UdSSR stationierten Truppen zieht sich
Transnistrien 200 Km lang und 5 Km breit durch Bessarabien,
rechtliches Niemandsland zwischen Moldawien und der Ukraine, in
welchem westliche Touristen gut und gerne 500 € loswerden können,
sollten sie es durchqueren und an korrupte
Polizisten/Soldaten/Milizionäre geraten (was -höflich ausgedrückt-
nicht ganz unwahrscheinlich ist) die Formulare und
Straßenbenutzungserlaubnis verlangen und wenn man solcherlei nicht
besitzt, Strafe einfordern.
Ich geriet allerdings an einen netten Grenzbeamten, der sich (trotz
bedrohlicher Sowjetuniform) als äußerst kulant und interessiert
herausstellte, denn ich besaß keine Devisen. Nach einer halben
Stunde jovialen Verhöres entließ man mich zur Rückreise. Nochmal
über die Grenzbrücke, dann stand ich vor dem Einreiseposten. Der
Beamte wollte mich nicht einlassen. Ich erklärte die Sachlage, er
schüttelte den Kopf. Ich beschwor ihn seinen Vorgesetzten zu
kontaktieren, er winkte ab. Da knackte sein Funkgerät und der eben
benannte Vorgesetzte stellte einen Deutschen in Aussicht, der
einzulassen sei. Der überzeugte Beamte gab mir den ersehnten
Einreisestempel und winkte mich durch. Dann fuhr ich mit dem Bus
zurück nach Odessa. Ich hatte 6 Stunden an der Grenze verbracht.
Aber man wächst ja an seinen Erfahrungen.
Eine wirklich faszinierende und live sicherlich bedrohliche Situation :)
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